Projektbeschreibung (-> Projektbericht)
Wie können aktives Erinnern und Gedenken in naher Zukunft aussehen, wenn keine Überlebenden von Konzentrationslagern und Ghettos mehr zu ihrem Leben befragt werden können? In welcher Weise können neue Medien zu Erinnerung und Aussöhnung beitragen, wenn wir uns zeitlich immer weiter von den prägenden historischen Ereignissen entfernen? Diesen Fragen nachzugehen, die gerade angesichts des ausgeprägten Geschichtsbewusstseins der mittel- und osteuropäischen Gesellschaften von außerordentlicher Bedeutung sind, war die Zielsetzung der vom Maximilian-Kolbe-Werk organisierten zweiteiligen Internationalen Begegnung 2011.
Das Konzept der Veranstaltung baute explizit auf den Erfahrungen der Internationalen Begegnung „65 Jahre nach Auschwitz“ im Januar 2010 auf. Das zentrale Anliegen war unverändert: direkten Kontakt zwischen jungen Menschen aus Deutschland, Polen und weiteren Ländern Mittel- und Osteuropas und Überlebenden des nationalsozialistischen Terrors herzustellen und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dazu anzuregen, sich gemeinsam mit Fragen der Erinnerung und Aussöhnung in einem europäischen Kontext auseinanderzusetzen und kreativ zu verarbeiten. Weitere Zielsetzungen waren der Aufbau von Partnerschaften über sprachliche und kulturelle Grenzen hinweg, die Vermittlung von historischem Grundlagenwissen, demokratischen Werten und Menschenrechten und die Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements unter den jungen Teilnehmer/innen.
Ein neues, zusätzliches Element der diesjährigen Begegnung war die Bearbeitung konkreter Projekte durch die jungen Teilnehmer/innen. Sie waren aufgefordert, die Zeitzeugen mit Hilfe verschiedener Medientechniken zu porträtieren und ihre Aussagen auf kreative Weise zu verarbeiten. Die Beschäftigung mit verschiedenen Medien bzw. Medientechniken (Audio, Video, Internet etc.) und die Vermittlung von Fertigkeiten im Umgang mit ihnen war nicht allein in methodischer Hinsicht bedeutsam. Sie wirkte sich auch unmittelbar auf die inhaltliche Ebene der Reflexion aus, denn der gezielte Einsatz von Medienanwendungen in einem nutzerfreundlichen, interaktiven Kontext mit sehr geringen technischen Einschränkungen – Stichwort: Web 2.0 – ermutigte die jungen Menschen dazu, sich selber als Autoren zu begreifen. Die Auseinandersetzung mit dem gewählten Thema war somit durch Dynamik und Interaktivität geprägt: Jeder Interessierte konnte sich (und kann sich weiterhin) daran mit geringem technischem und finanziellem Aufwand beteiligen und so zur Wissensproduktion und letztlich zum Erinnerungsdiskurs beitragen.
Die Internationale Begegnung war in zwei Teilen konzipiert:
- ein erstes Treffen vom 23. bis 28. Januar 2011 im polnischen Oświęcim (Auschwitz), das wie im Vorjahr mit dem Jahrestag der Befreiung des Lagers Auschwitz verbunden war und bei dem besonders die Heranführung an das Thema und die persönliche Begegnung zwischen Zeitzeugen und jungen Menschen im Mittelpunkt stand
- ein zweites Seminar vom 23. bis 27. März 2011 in der Gedenkstätte Buchenwald, das primär der Bearbeitung und Fertigstellung der Medienprojekte diente.
An den beiden Teilen der Internationalen Begegnung (d.h. zumindest an einem der zwei Treffen) nahmen insgesamt zwölf KZ-und Ghetto-Überlebende sowie 24 junge Menschen aus Deutschland, Israel, Litauen, Mazedonien, Polen, Russland, Tschechien und der Ukraine teil. Die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden über eine gezielte Online-Ausschreibung gesucht und ausgewählt, bei der über einhundert Bewerbungen eingingen. Als Arbeitssprachen wurden primär Deutsch, Polnisch und Russisch verwendet, so wie dies auch im Vorjahr gehandhabt worden war. Auch Englisch kam gelegentlich zum Einsatz.
Fazit und Bewertung
Aus Sicht des Maximilian-Kolbe-Werks war die Internationale Begegnung 2011 eine sinnvolle und erfolgreiche Fortentwicklung des Seminars aus dem Vorjahr. Die selbst gesteckten Ziele wurden im Wesentlichen erreicht, und die konkreten Ergebnisse der erstmals durchgeführten Projektarbeiten übertreffen die Erwartungen sowohl quantitativ als auch qualitativ. Die Einbeziehung der neuen Medien hat die Zusammenarbeit intensiviert und zugleich eine hohe Sichtbarkeit und – zumindest potenziell – den erwünschten Multiplikatoreffekt zur Folge. Die sehr gelungenen Projektergebnisse rechtfertigen den infolge der Zweiteilung der Begegnung erhöhten Ressourceneinsatz.
Mit den jungen Teilnehmer/innen der Internationalen Begegnung wurde eine anonyme Evaluation in schriftlicher Form durchgeführt, deren detaillierte Ergebnisse (für Teil 2 in Buchenwald) hier abrufbar sind. Die jungen Erwachsenen bewerteten die beiden Teile der Begegnung insgesamt sehr positiv. Besonders angetan waren sie von der Möglichkeit, an authentischen Orten des historischen Geschehens mit Zeitzeugen ausführlich ins Gespräch zu kommen und gemeinsam Zeit miteinander zu verbringen. Auch die Atmosphäre, die Motivation aller Beteiligten und das Interesse füreinander wurden positiv bewertet. Als Kritikpunkt wurde an erster Stelle ein Mangel an Zeit für die Gespräche mit den übrigen Teilnehmer/innen genannt, insbesondere den Zeitzeugen. Es wurde vorgeschlagen, in Zukunft die Zahl der Programmpunkte zu reduzieren oder die Begegnung um ein bis zwei Tage zu verlängern. Auch wurde bemängelt, dass das eigentliche Thema der Begegnung, d.h. die Frage nach den Möglichkeiten des Web 2.0, nicht vertieft diskutiert wurde. Die Zeitzeugen wurden nicht systematisch befragt, sondern hatten in individuellen Gesprächen Gelegenheit zur ausführlichen Rückmeldung.
Hier die besonders ausführliche, persönliche Äußerung eines Teilnehmers im Originalwortlaut:
"Mir war persönlich sehr wichtig zu erfahren, wie es den Menschen damals ergangen ist und mit ihnen darüber zu sprechen und auch meine eigenen Gefühle und Gedanken zu diesem Thema zu überdenken. Ich hatte zuerst ein schlechtes Gewissen, weil die Begegnung gerade auch mit den anderen Jugendlichen auch etwas Fröhliches war und ich nicht wusste, ob es überhaupt angebracht ist lachen zu dürfen und überhaupt fröhlich zu sein an so einem Ort wie Auschwitz. Das war sehr verwirrend. Dann habe ich begriffen, dass es überhaupt, angesichts des Terrors, der Gewalt und Schrecken, woran uns die Zeitzeugen erinnert haben, nichts Schöneres geben kann als ein fröhliches Gemüt zu haben, gut gelaunt zu sein und seine Freude mit anderen zu teilen. Das macht das Leben lebenswert. Das fand ich eine sehr schöne Erfahrung. Deswegen habe ich großen Respekt vor allen unseren Zeitzeugen, dass sie bei uns waren und uns von ihrer Geschichte erzählt haben."
Einigkeit herrschte unter allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Begegnung, dass nach Möglichkeit immer der persönliche Kontakt zwischen Menschen anzustreben ist, denn er ist durch nichts zu ersetzen und hinterlässt immer den intensivsten und nachhaltigsten Eindruck. Filme, Hörbeiträge, Internetseiten mit Texten und Bildern etc. können zwar anschauliches Material liefern und in der Bildungsarbeit eingesetzt werden – den bevorstehenden Verlust der Möglichkeit zur persönlichen Begegnung mit NS-Zeitzeugen werden sie jedoch niemals kompensieren können.
Partner und Förderer
Das Maximilian-Kolbe-Werk führte die Internationale Begegnung 2011 in Kooperation mit dem Klub Inteligencji Katolickiej (KIK) in Warschau, dem Łódzkie Stowarzyszenie Pomocy Byłym Więźniom Politycznym Hitlerowskich Obozów Koncentracyjnych, Więzień i Gett (Lodscher Hilfsverein für ehemalige politische Häftlinge Hitlerischer Konzentrationslager, Gefängnisse und Ghettos) sowie dem Centrum Dialogu i Modlitwy w Oświęcimiu (Zentrum für Dialog und Gebet in Oświęcim) durch.
Finanziell unterstützt wurde das Vorhaben durch Zuschüsse des Thüringer Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur, des Bündnisses für Demokratie und Toleranz sowie der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ sowie durch Spenden der Dr. Heinz-Horst Deichmann-Stiftung, der Sparkasse Freiburg und der Stiftung DKM Darlehnskasse Münster. Dafür dankt das Maximilian-Kolbe-Werk herzlich.
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